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Der Bollen im Bauch

Liebe Leserin. Lieber Leser. Vorab ein Disclaimer: In diesem Blogbeitrag berichte ich von einer Methode, die mir quasi das Schloss zum gläsernen Käfig gezeigt hat, in dem ich seit Jahrzehnten meine Runden drehte. Ich habe sehr viel Entwicklungsarbeit im Alleingang geleistet und ich fühle mich hierzu in der Lage. Mein Blog und meine Übungen sind lediglich als Impuls für die Leserschaft anzusehen. Ich übernehme keine Haftung für Eure gesundheitlichen und seelischen Themen. Mein Blog und meine Schilderungen ersetzen keinen Arzt und keine Therapie. Lieben Dank fürs Verständnis.

 

Triggerwarnung: Gewalt

Ich habe diese Woche bei Facebook in der Jammerfastengruppe über meine Erkenntnisse als Trauma-Betroffene berichtet. Ich habe davon berichtet, dass bei mir der Knoten buchstäblich geplatzt ist, als ich mir selbst gegenüber zugestanden habe, was mir als Kind widerfahren war. In den Jahren, Jahrzehnten zuvor war ich davon ausgegangen, dass jemand Externes benennen muss/soll, was in unserer Familie geschah. Ich war der Meinung, dass meine Mutter - mein Vater starb schon 2004 - hinsteht und mir sagt. "Wir waren übergriffige und misshandelnde Eltern. Du hast seelische, körperliche und auch sexuelle Gewalt erlebt, täglich. Wir haben Tiere gequält und Du musstest zuschauen. Dein Vater und ich waren die Täter. Du bist leider in einer dysfunktionalen und hochtoxischen Familie aufgewachsen, in der wir alles daran gesetzt haben, Deine Wahrnehmungen zu zerstreuen und z u vernebeln. Und ja - wir hätten auch in Kauf genommen, dass Du daran komplett zugrunde gehst". Das hatte ich tatsächlich irgendwie erwartet. Aber sowas kam natürlich nie. Und so blieb sie - diese Unruhe in mir, begleitet von der permanenten Frage: "Was stimmt nicht mit mir?" Mir war nicht klar, dass ich über Jahrzehnte es verinnerlicht hatte, dass es mir nicht zusteht, meiner eigenen Wahrnehmung zu trauen. Ich hatte verinnerlicht, dass es mir nicht zusteht, mich abzugrenzen. Ich hatte verinnerlicht, dass ein "Nein", das ich ausspreche, einfach ignoriert wird, garniert mit einem "Sei doch nicht so!". Ich lief Jahrzehnte lang wie "Falschgeld" durchs Leben. Entwurzelt, orientierungslos. Ich hatte zwar Abitur gemacht ("Das hast Du nur mir zu verdanken", Zitat meiner Mutter) und eine Ausbildung zur Redakteurin ("Ich habe es Dir möglich gemacht, dass Du Deinen Traum leben darfst", Zitat meiner Mutter). Ich führte äußerlich ein geordnetes Leben, aber in mir drin regierte das Chaos, das mich alle paar Jahre in einen seelischen Burnout führte. Ich klappte buchstäblich komplett zusammen und keiner wusste, warum. "Psychosomatisch", lautete oft die Diagnose. Aber ich rappelte mich stets auf und ging wieder zurück in mein Leben - und mein Leiden. 

 

Über die Jahre hinweg hat sich ein Bollen in meinem Bauch gebildet. Bollen ist Badisch und heißt so viel wie Klumpen. Ich wusste lange nicht, dass es ihn gibt, ich spürte nur, dass irgendetwas etwas mit mir macht. Ich merkte über Jahrzehnte, dass mich etwas daran hindert, in meine Kraft zu kommen. Ich hatte so viele Bücher über Persönlichkeitsentwicklung gelesen, Coachings und Familienaufstellungen gemacht - aber es gelang mir nie, final zu erkennen, wie er denn aufzubrechen ist, dieser unsichtbare, gläserne Käfig, in dem ich seit klein auf meine Runden drehte. Ich machte alle Positiv-Denken-Bewegungen mit, die der Markt so hergab. Ich lauschte dem Geschwafel von selbsternannten Gurus. Belegte Kurse, machte Webinare, fuhr quer durch die Republik zu Schamanen. Kehrte voller Euophorie zurück - aber nach wenigen Tagen war er wieder da, dieser graue Schleier, der sich auf meine Lebensfreude legte. 

Ich habe Ende 2022 aus eigener Kraft heraus, ausgelöst durch einen emotionalen Tiefschlag in meinem engsten Umfeld, quasi innerhalb von Minuten erkannt, wie ich aus diesem gläsernen Käfig herauskomme: Kopf und Bauch waren Jahrzehntelang nicht im Einklang. Ich hatte über den Verstand zwar mein Leben und meine Vergangenheit schön sortiert und auch aufgeräumt mit Sprüchen wie: "Die Vergangenheit kann man nicht ändern, die Zukunft schon", ich war und bin bis heute mit Optimismus ausgestattet, aber unterm Strich gelang es mir doch nicht, ein unbeSCHWERtes Leben zu führen. Es gab immer wieder dubiose Wiederholungen, die sehr viel Stress bei mir auslösten. Zwar rappelte ich mich immer wieder fleißig auf - aber mit regelmäßiger Genauigkeit klatschte wieder ein Downer-Ereignis in mein Leben, trotz aller Manifestations- und Meditationsübungen. Warum stellte mir das Leben immer ein Bein, obwohl ich vom Besten ausging, meine Vergangenheit als gegeben akzeptierte und nicht mal Wut auf meine Familie empfinde?

Weil ich all diese "Auflösungsarbeit" nur im Kopf gemacht hatte. Da fühlte es sich auch richtig an und gut. Aber der Mensch hat zwei Gedächtnisse: Das im Kopf - und das im Bauch. Beide sind über den Vagusnerv miteinander verbunden und kommunizieren auch - wenn man es weiß. Ich kann mir im Kopf also noch so viel Zuckerwattenwelt einreden - wenn der Bauch nicht d'accord damit geht, drehst Du Dich immer weiter in der Leidensschleife, auch wenn Du Affirmationen bis zum Umfallen rezitierst. 

In dem Moment, in dem ich erkannt habe, dass in meinem Bauch ein dicker, schwarzer Bollen klebt, der gefüllt ist mit traumatischen Erinnerungen und Gefühlen wie Stress (bei mir in Massen), Ohnmacht, Hilflosigkeit und Abhängigkeit - in dem Moment machte es "Plopp!" - als habe man einen Pfropfen aus einer Flasche, in der es brodelt, gezogen. Die Erkenntnis war so klar, so heftig, dass mir schwindelig wurde. Und übel. Aber nur kurz. Im nächsten Moment strömte eine unglaubliche Ruhe durch mich hindurch, verbunden mit dem Gefühl: "Das Suchen hat nun ein Ende". Mir war klar, dass ich seit Jahrzehnten dieses miese Bauchgefühl, das aus verknoteten Emotionen bestand, die nie gesehen und wahrgenommen werden durften, mit mir herumgeschleppt hatte. Der Bollen im Bauch war der Schlüssel zum gläsernen Käfig. 

 

Mir hat geholfen, den Bollen zu malen. Ich habe ein Ritual daraus gemacht, bin in ein Bastelgeschäft gegangen, habe mir einen Zeichenblock und intuitiv Öl-Pastellkreide gekauft. Das bin ich mir wert. Ich wollte nicht mit Filz- oder Buntstiften malen, weil mir diese Stifte für dieses Vorhaben zu "trocken" sind. Öl-Pastellkreide ist relativ "fett", je nach Druck trägt sie auf dem Papier dick auf und machte für mich das, was ich male, haptisch greifbar. Die Haptik in diesem Prozess war für mich wichtig. Ich habe mich im November 2022 zuhause an den Tisch gesetzt, mit einer Tasse Tee und der Duftlampe mit "Palo Santo"-Öl. Und dann habe ich dem "Bollen im Bauch" ein Gesicht gegeben. Wie ich ihn wahrnehme. Als Knäuel von schwarzen Emotionen. Gespickt mit roten Flammen der Erinnerungen an grausame Übergriffe auf meine Seele. Aber dann kamen noch schwarze Flecken hinzu - ich hatte sie intuitiv gemalt, konnte aber nicht sagen, was sie darstellen. Ich überlegte, hatte aber keinen Schimmer, und ich beschloss, dass ich es einfach dabei belasse, was mir in den Sinn kommt: Die schwarzen Flecken sind blinde Flecken auf meiner Seele. Dinge, an die ich mich nicht erinnere. Noch nicht. Ich war mir aber sicher, dass ich die Antwort bekommen würde, was es mit den schwarzen, blinden Flecken auf sich haben würde. Während des Malens hatte ich Herzklopfen und ein "Vibrieren" im Körper - es machte mir keine Angst, weil ich einfach darauf vertraute, dass das der richtige Weg sein wird, um aus diesem Glaskäfig, der immer enger wurde, je älter ich wurde, herauszukommen. Allein das Malen dieses Bildes hat schon unsagbar viel in mir ausgelöst und ins Rollen gebracht. 

 

Mir hat es unglaublich viel geholfen, diesem "Bollen" oder Knoten ein Gesicht zu geben. Ich habe diese Übung gemacht, weil sie mir einfiel. Weil ich fühlte, dass sie richtig und wichtig ist. Und weil mir klar geworden war, dass ich nicht vorwärts komme, solange mein Bauchgehirn auf einer niedrigeren Frequenz funkt als mein Kopfgehirn. 

Ich sehe mich in meinem Blog als Impulsgeberin für all jene, die auch das Gefühl haben, in einem gläsernen Käfig zu sitzen. Ich glaube daran, dass wir viele sind. Ich glaube daran, dass uns diese verborgenen Traumata immer und immer wieder in Leidensschleifen kreisen lassen, obwohl wir vom Verstand her das nicht wollen. Wir rasen immer wieder sehenden Auges in die selbe Sackgasse, obwohl wir die Bremse drücken und die Navigation auf Friede und Freude programmiert haben. Ich glaube daran, dass jede Antwort und auch jeder Schlüssel zum Heil-Werden in uns liegt. Wir brauchen manchmal nur die richtigen Impulse, die richtigen Begleiter, die uns am Wegesrand ein "Du schaffst das!" zurufen. 

 

Wichtig ist, dass wir Kopf und Bauch in Einklang bringen. Die Bauchregion ist mit dem Solarplexus ein hochkomplexes Nervensystem, das Gefühle und Erinnerungen genauso speichert wie das Kopfgehirn. Wir müssen also an beiden "Stationen" arbeiten, um uns zu ent-wickeln. 

 

Bitte habe Verständnis dafür, dass ich nicht den Ratschlag gebe, es mir gleichzutun, weil ich nicht sagen kann, wie Dein System reagiert. Ich möchte lediglich davon berichten, wie ich es geschafft habe, dieses permanente Kreisen in der Leidensschleife zu durchbrechen. 

 

Ich möchte jedem Mensch, der diese unsichtbare Wand spürt, die ihn daran hindert, leicht zu leben, von Herzen zurufen: "Du schaffst es, Dich zu befreien. Wir sind viele. Ich bin eine davon. Und ich verstehe Dich."

 

Sei unbedingt ganz gut zu Dir. Liebe Grüße. 

 

Steph

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Simonita (Mittwoch, 22 März 2023 23:08)

    Wahnsinnig toller Blog!
    Ich freue mich über jeden Beitrag.
    Mein Lieblingsteil ist immer noch der „Bollen“ und wie du ihn für dich greifbar und lösbar gemacht hast.
    Ich hoffe, ich finde meinen auch noch, damit Bauch und Kopf auch wirklich wieder im Gleichklang sind.

  • #2

    Steph (Donnerstag, 23 März 2023 07:09)

    Hallo Simonita :-) Papier, Stift, Wasserfarben...whatever... einfach dem System eine Chance geben, sich auszudrücken. Manchmal dauert es ein wenig, weil der Bauch sich zögerlich wegduckt und sagt: "Darf ich überhaupt sagen, wie es mir wirklich geht..." - Ja, Du darfst. Es kommt von selbst. Vertraue Deinem System, das es sich auszudrücken vermag. Sei unbedingt ganz gut zu Dir! Liebe Grüße! Steph