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Warum mir Wut nix bringt

Hin und wieder bekomme ich von Bloglesern/-leserinnen die Frage, ob ich Wut habe. Ob ich wütend bin auf meine Familie. Auf meine Eltern. Weil ich in gewisser Weise verkorkst bin oder wurde und weil mich die ganze Familie zum schwarzen Schaf gemacht hat.

Ich habe heute, mit 48, definitiv keine Wut in mir. Denn Wut würde mich nicht weiterbringen. Wut würde dafür sorgen, dass etwas von außen wiederum etwas mit mir im Innern macht. 

Ich habe auf meinem sehr umständlichen Weg gelernt, dass jedes Gefühl in Dir ein wertvoller Weg-Weiser ist - wenn Du bereit bist, seine Zeichen zu lesen. Ich war oftmals nicht in der Lage, die Zeichen zu erkennen. Zu verkopft, zu verletzt, zu ohnmächtig taumelte ich durch meine Welt. 

Ich kann mich nur an sehr seltene Momente erinnern, in denen ich richtig wütend als Kind oder Jugendliche war. Der Hauptteil der mir aufgeprägten Emotionen bestand aus Ohnmacht. Ohnmacht hat mich tief, tief geprägt. Dieses Gefühl, nicht weg zu können. Allem ausgeliefert zu sein. Nicht zu wissen, wohin. Aber zu wissen, dass mir  niemand helfen würde, weil meine Eltern eine so perfekte Fassade aufgebaut hatten. 

Es ist Ohnmacht, die mir tief ins Nervensystem eingepflanzt wurde und die sich tief in mir eingewurzelt hat. 

 

Auch wenn ich heute die Erinnerungsbilder der Geschehnisse betrachte, so kommt in mir keine Wut hoch. Oft ist es eher Bedauern, dass ich nicht schon früher die Maschinerie, das System, in dem ich ums Überleben kämpfte, erkannt habe. Dass ich nicht mit 20 oder 30 so geklärt war, dass ich all diesen Possenspielchen ruhig den Rücken hätte zuwenden können. Ich hätte mir viele schädigenden Erfahrungen  - denn man wiederholt, was man kennt, auch wenn es einem nicht gut tut - ersparen können und im Gegenzug Freiheit und Unbeschwertheit genießen. 

Aber hätte...hätte...Fahrradkette...

 

Ich habe gelesen, dass alles zu seiner Zeit kommt. Der Schmerz. Das Erkennen. Das Aufwachen. Das Handeln. 

Wut würde mich jetzt um Meilen in meiner Ent-Wicklung zurück werfen. Ich habe für mich erkannt, dass radikales Annehmen für mich ziemlich gut funktioniert. Ich kann meine Vergangenheit annehmen. Und auch meine Wunden. Ich kann es annehmen, dass ich mich noch immer im wichtigsten Prozess meines Lebens befinde, der im Januar 2023 damit begann, dass ich zum allerersten Mal laut ausgesprochen habe, dass ich in einem missbrauchenden Umfeld aufgewachsen bin, mitten im trauten Wohngebiet, mitten in "geordneten" Verhältnissen", die so viel zerstörerische Wucht hatten. Seit dem Moment ist nichts mehr, wie es mal war. Manchmal ist der Wandel so heftig, dass ich am liebsten auf die Bremse treten möchte - aber ich gebe mir selbst verständnisvoll die Hand und sage mir: "Komm', Du schaffst das."

Albert Einstein soll mal gesagt haben: "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." Das trifft es doch ziemlich gut. Als ich mich auf die Erkenntnis eingelassen habe, die Vorfälle benannte und damit auch qualifizierte, fing dieser Panzer, den ich um mich herum geschichtet hatte, buchstäblich an zu bröckeln. Ich habe mir in der Vergangenheit ein Leben zurechtgebogen, das aus Dauerwiederholungen von anstrengenden Erfahrungen geprägt war. Ich habe sie alle gerockt, keine Frage. Aber ich fragte mich, was denn der Sinn hinter all dem Schmerz ist - ich nenne als Beispiel toxische Beziehungen; eine davon endete in einer grauenvolle Ehe, die wiederum mit einer kräftezehrenden Scheidung ein Ende fand. Eines von vielen Beispielen.

Es gab Jahre in meinem Leben, da habe ich so viel erlebt wie andere Menschen  in 10 Jahren. Und es flog mich förmlich an, das Elend und Leid. 

Warum? Weil ich ein Resonanzkörper bin. Weil ich bis zu meiner Erkenntnis auf der Frequenz funkte: "Das Leben ist unberechenbar und gemein. Mir darf es nicht gut gehen. Ich muss leiden, um eine Existenzberechtigung zu haben."

Ich habe gelernt, dass über ständige Wiederholungen von Ereignissen oder Prägungen durch Worte oder Handlungen buchstäbliche Datenautobahnen gespurt werden. In meinem Fall ist die Navigation auf "Stress!!! Stress, Stress, Stress!!!...es muss alles stressig und unberechenbar sein. Und ich habe keine Existenzberechtigung." programmiert.

 

Wer mit dieser Navi durchs Leben cruist, biegt immer wieder ganz unbewusst in die Sackgasse. Und in die nächste. Und in die nächste. Und kommt nie an. Oder sehr spät - wie ich. 

 

Nein, ich habe keine Wut auf meine Familie. Denn diese Wut würde mich davon abhalten, etwas Gutes für mich zu tun. Wut lenkt ab, kostet Kraft. Energie. Zeit. 

Wenn Du Wut hast, so nehme sie als Wegweiser, als Hinweis, dass etwas in Deinem Leben angeschaut werden möchte.  Ändere die Umstände, aber kultiviere nicht die Wut. Sonst gehst Du kaputt. 

 

Ich habe Zeit meines Lebens  wenig Wut gefühlt, dafür extrem viel Ohnmacht. Auch diese habe ich nicht mehr weiterkultiviert. Ich habe die Ohnmacht von allen Seiten betrachtet und gefragt: "Ohnmacht, warum bist Du je kommen?" Und die Antworten kamen wie von selbst: Weil ich nicht dagegen ankam, wenn meine Eltern mich und unsere Tiere traktierten. Weil ich nicht einfach weg konnte. Weil ich immer Angst um unsere Tiere hatte, bis weit ins Teeniealter. Dass ich so viele unzählige Momente hatte, in denen ich einfach für immer von da weg wollte. Weil ich gehofft hatte, dass jemand kommt und mich holt. Weil ich gehofft hatte, ich sei nur verwechselt worden am Tag meiner Geburt und meine RICHTIGEN Eltern würden mich jetzt holen. Aber: Es kam niemand. Das machte mich ohnmächtig. 

 

In meinem Nervensystem hatte sich die Ohnmacht tief eingefressen. Aber sie ist dabei, sich Tag für Tag mehr vom Acker zu machen. Es ist ein Prozess, der Zeit und Geduld braucht. Und ganz viel Liebe für mich selbst. 

 

Sei unbedingt ganz gut zu Dir. 

 

Liebe Grüße! Steph

 

 

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