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Tiere haben mich gehalten

1984, "Soraya" und Steph
1984, "Soraya" und Steph

Triggerwarnung: Gewalt 

 

Kinder wie ich, die in dysfunktionalen Familien aufwachsen, entwickeln enorme Mechanismen, um zu überleben. Sie passen sich an, machen sich wie unsichtbar, gehen entweder in die Rebellion, oder sie werden leise. Ich hatte mich für Letzteres entschieden, da die Front mit zwei übergriffigen Eltern für mich alleine nicht zu schaffen war. Ich hatte weder Geschwister, noch andere Menschen, mit denen ich mich hätte verbünden können. 

Kinder wie ich, die in dysfunktionalen Familien aufwachsen, suchen sich in ihrem unberechenbaren Alltag Ressourcen, die ihnen Halt geben. Und mit dem Halt gibt es ein wenig Kraft. Vielleicht ist es ein Spielzeug, ein Baum oder ein unsichtbarer Freund. Auch Kinder, die in gesunden Familien aufwachsen, haben ihr Lieblingskuscheltier, ein Schmusetuch oder einen imaginären Held. Es sind Anker, die Halt geben. In gesunden, aber auch in dysfunktionalen Familien. Ich habe mir auch diese Ressourcen gesucht. Anker Nummer 1 waren definitiv Tiere. Wir hatten Vögel, Fische, Katzen, Hunde und später auch Pferde. Was wie ein Mädchentraum klingt, war in Wahrheit ein Alptraum, denn mein Vater machte nicht Halt, unsere Tiere massiv zu misshandeln und heute vermute ich, dass sie nur deshalb angeschafft wurden. Je größer seine Fantasien wurden, desto größer wurden auch die Tiere. Meine Mutter deckte meinen Vater. Immer. Sie fand für jeden seiner Ausbrüche eine Ausrede und hielt mich mit geübtem Klammergriff fest, wenn ich unseren Tieren helfen wollte. Ich fühlte mich ohnmächtig. Weil ich die Qualen hören und sehen musste und nichts tun konnte. Ich hatte auch versucht, ans Telefon zu eilen - Handy gab es damals nicht - und Hilfe zu holen. Meine Mutter war schneller, schlug mir auf die Hände, steckte das grüne Wählscheibentelefon aus und versteckte es. 

 

Ich hatte niemanden, dem ich mich anvertrauen konnte. Wir zogen ständig um. In meiner Biographie stehen 13 Schulen. Es war unmöglich, ein Vertrauensfeld aufzubauen. Und selbst wenn: Mir hätte keiner geglaubt. Denn wir lebten in einer perfekt inszenierten Kulissen der Unternehmerfamilie. Und von klein auf wurde mir eingetrichtert, dass ich "verrückt", "verlogen" und nicht normal sei. Ich erinnere mich, dass ich kreischte und schrie, wenn mein Vater wieder sein "Ritual" an einem unserer Tiere ausführte. Und oft kam dann "der Löffel", der mir zwischen die Zähne gepresst wurde. Ein Beruhigungsmittel oder Schlafmittel (natürlich aus der eigenen Apotheke) das mir meine Mutter mit Gewalt einflößte. Ich spüre noch heute den Metalllöffel, der gegen meine Zähne knallte, und den eisernen Griff um meinen Kiefer, um ihn aufzuquetschen. Danach folgte ein Filmriss. Meine Mutter war eine grandiose Schauspielerin. Seit ich denken konnte, trug sie ihr Haar im Pagenschnitt und erzeugte bewusst eine frappierende Ähnlichkeit mit einer französischen Sängerin. Mit diesem gestohlenen Sympathiebonus kroch sie wie eine Schlange  durch die Welt, gewann Herzen, tat verbindlich, um die Menschen zu blenden. Nichts an ihr war echt. Wenn sie etwas tat, tat sie es mit Kalkül.  In der Schule ließ sie sich stets zur Elternsprecherin wählen und ließ mich nicht mal bei Schulausflügen aus dem Blick - wo ich war, war sie. Mein Vater war der Aggressor, sie seine Tarnung. Ich eine Projektionsfläche.  

 

Heute frage ich mich oft, wie ich diesen Wahnsinn überhaupt überlebt habe, seelisch und körperlich. Aber ich glaube, dass ich ganz tief in mir wusste, dass das, was stattfindet, nicht richtig ist. Der Umgang mit unseren Tieren hat mich gehalten. Ich glaube, wir haben uns gegenseitig getröstet. Viele Tiere sind abgehauen, die meisten kam unter mysteriösen Umständen ums Leben - und ich wusste, wer der Täter war. Jahrelang, Jahrzehnte lang war ich gelähmt. Und ich war so gut präpariert worden, dass ich es nie wagte, auszusprechen, was ist: Meine Eltern sind sadistische, quälende Kreaturen, die sich vom Leid anderer nähren. 

 

Bis heute sind es Tiere, die mir gut tun. Ich gebe Tieren, die keiner will, ein Zuhause. Meine Hündin holte ich vor 12 Jahren aus einem Tötungsshelter in Bulgarien, mein Kater - schwarz - wurde von einer Familie, die eine Katze mit einer anderen Fellfarbe haben wollte, abgegeben. Es tut mir gut, mit meiner Hündin durch die Natur zu streifen. Das Wetter und den Jahresablauf hautnah zu spüren. Nicht immer reden zu müssen. Ich kann bei meinen Tieren sein, wie ich bin: Sie akzeptieren mich. Sie führen mich in keine emotionale Falle. Ich muss nicht aufpassen, ob von irgendeiner Seite wieder irgendein emotionaler Querschläger kommt. Ich kann ihnen vertrauen und sie vertrauen mir. Es beruhigt mich, wenn beide bei mir auf dem Sofa liegen, vor sich hinschnarchen und alles ist ganz ruhig um uns herum. Dann ist das Leben herrlich leicht. Und dann kann ich Kraft tanken. 

 

Ich wünsche Dir, dass Du Zugang zu einem Tier hast, wenn Du das Gefühl hast, Dich erden zu wollen. Tiere sind unglaublich gute Helfer beim Sich-Erden. Vielleicht gibt es in Deinem Umfeld jemand, der ein Tier hat, mit dem Du vorsichtig in Kontakt kommen darfst. Ich gehe auch ab und an ins Tierheim, um vor Ort zu helfen. Es hilft mir, jenen Gutes zu tun, die sich nicht selber helfen können. Ich fühle mit. 

 

Wenn Du traumabetroffen bist, dann frage Dich, was Dir früher Halt gegeben hat und was Dir heute Halt und somit Kraft gibt. Widme Dich dem, was Dir gut tut. Deshalb:

 

Sei unbedingt gut zu Dir. 

 

Liebe Grüße, Steph

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